Kurz Report vom T4 Umzug am 2.10.1997

Psychiatrie-Erfahrene auf der Straße


Nach einer Gedenkfeier an der Gedenkplatte "Ehre den Vergessenen Opfern" in der Tiergartenstr. 4 zog der Umzug begleitet von der Polizei und angeführt von ei-nem Lautsprecherwagen zum Brandenburger Tor. Dort wurde die Ansprache, die während der Gedenkfeier ge-halten wurde wiederholt, und "die Gedanken sind frei" angestimmt.

Weiter zog die Demonstration vor die Psychiatrie der Charité. In der Psychiatrie wurde kurzfristig der Karl Bonhoeffer Saal besetzt. Sowohl der Chefarzt, als auch die Oberärzte waren verschwunden, obwohl der Umzug bei der Charité angekündigt worden war. Mehr aus Versehen ließ sich ein zufällig vorbeikommender Neurologe in ein Gespräch verwickeln und bestätigte die völlige Ignoranz der Ärzteschaft gegenüber den mit Zwang durchgeführten Verstümmelungen, die Aufgrund der Stellungnahmen von Karl Bonhoeffer als Gutachter bzw. Richter der Erbgesundheitsgerichtshöfe vorgenommen wurden. "An eine Umbenennung dieses Raums sei bis jetzt nicht gedacht worden." Ist die Charité noch immer stolz auf diesen offen rassistisch psychiatrischen Chefarzt?


Im folgenden ist die Ansprache dokumentiert:
Zum dritten Mal versammeln wir uns hier zum T4 Um-zug vom Ort der Schreibtischtäter des systematischen Massenmords zur Charité. Und auch dieses Mal beginnen wir diesen Umzug mit dem Gedenken an unsere ermordeten Schwestern und Brüder.
Immer wieder fragt man sich, wie war das möglich, was war das Mordmotiv dieser Täter. Ernst Klee sagt es ganz deutlich: Nicht die Nazis haben die Ärzte gebraucht, sondern die Ärzte die Nazis. Es war die medizinische Inquisition, ein Denken in "Sieg Heil" Begriffen, biologistisch objektiviert in der Rede von der Herrenrasse, die genau durch ihr mörderisches System ihre Macht bestätigte, indem sie "desinfizierte", Menschen vergaste.

Und ist heute alles ganz anders?
Sicher, das systematische Ausrotten der Verrückten durch geziehlten Mord gibt es nicht mehr, aber wie konnte zum Beispiel die größte Berliner Psychiatrie, die Ka Bo En nach Karl Bonhoeffer genannt werden? Karl Bonhoeffer, der wie die anderen Ärzte die "Sieg Heil" Ideologie verinnerlicht hatte, der ebenfalls darauf ge-wartet haben muß, daß durch die Erbgesundheitsgesetze das sog. Übel der sog. Psychischen Krankheit endlich an der vermeindlichen Wurzel, den Trägern ihrer Erbanla-gen aus dem Volkskörper beseitigt werden kann. Dazu wirkte der Chefarzt der Psychiatrie in der Charité als Gutachter und Richter an den Erbgesundheitsgerichtshö-fen sogar noch nach seiner Pensionierung mit. Welche Feindlichkeit und Verachtung muß gegenüber den in "Bonnies Ranch" behandelten Menschen zugrunde lie-gen!
Warum wird diese Geschichte totgeschwiegen?
Warum antwortet die Senatorin Frau Dr. Hübner seit über 14 Monaten nicht auf unsere Anfrage nach der Anzahl der Verfahren, in denen seine Stellungnahme zu einer unter Zwang durchgeführten verstümmelden Ope-ration geführt hat?
Der Umgang mit der Frage ist schon die Antwort:
Sie soll totgeschwiegen werden.
Es soll totgeschiegen werden, daß eine menschenver-achtende Zwangspsychiatrie unter dem Deckmantel eines medizinischen Jargons weiter am Werk ist. Es soll totge-schwiegen werden, daß Ärzte die Seele eines Menschen für krank und zu heilen definieren können, das Ur-eigenste, das "Ich" beurteilen und zur Zwangsbehand-lung freigeben dürfen, die so beurteilten Menschen ein-sperren, körperverletzen und mit einer Stigmatisierung zutiefst verunsichern dürfen, sie mit den Gewaltmetho-den der Psychiatrie kränken und ihrer Selbstbestimmung berauben dürfen.
All das geht, ohne daß solch ein Urteil für angeblich gefährliches Verhalten durch ein Verfahren mit dem Schutz einer Strafprozessordnung gesprochen wird und ohne daß zumindest ein Rechsanwalt des Vertrauens beigeordnet würde. Zeigt das nicht deutlich genug, daß 1945 die Zwangspsychiatrie ein diktatorisches System geblieben ist, das unverändert Vorbeugehaft praktiziert, "Schutzhaft", um die Gesellschaft vor uns zu schützen?

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