Irren-Offensive
Nr. 14
- PatVerfü knackt Zwangspsychiatrie -
Trialüg
„ES
IST NORMAL, VERSCHIEDEN ZU SEIN“ Das
Thema der heutigen Sitzung lautete „Psychose und Trauma“. Moderiert
wurde die Runde von drei Mitgliedern der Arbeitsgruppe Utopie, die sich
selbst als „psychiatriekritisch“ bezeichnet. Die drei Moderatoren
waren ein Psychiatrieerfahrener, eine Angehörige und eine „professionell
Tätige“. Es wurde die Äußerung fallen gelassen, dass psychiatrische „Diagnostik“ zur Klärung des Problems des Betroffenen verhelfen soll.Wie in aller Welt soll dies gehen? So ein Herr: Der Patient X merkt, dass es ihm „seelisch“ nicht ganz gut geht. Nachdem alle Ärzte keine körperliche Ursache bei ihm feststellen konnten [bzw. diese übersehen haben], geht er zum Psychiater. Der hört sich sein Klagen an, notiert eifrig und fällt letztlich das Urteil alias „Diagnose“: z. B. „manisch depressiv“. Doch was hat X von dieser herabwürdigenden, verlogenen Vokabel? Hilft sie ihm etwa? Im Gegenteil: Wohl eher wird er sich stigmatisiert fühlen, und aus diesem „Stempel“ können ihm Nachteile im Leben entstehen. „Diese Begrifflichkeit ist brutal!“, äußerte sich eine Frau entschieden dazu. Und damit hat sie auch vollkommen recht. Eine andere sagte bezüglich „Trauma“: „Ich glaube, dass die Psychiatrie noch zusätzlich traumatisiert. [...]“ Auch diese Dame trifft mit ihrer Aussage „den Nagel auf den Kopf“. Hier möchte ich eines klarstellen: Den Begriff „Trauma“ in Verbindung mit dem Begriff „Psychose“ stelle ich am Anfang dieses Textes in Frage; doch das Wort „Trauma“ wird auch in der Umgangssprache als Bezeichnung für ein gravierend negatives Erlebnis, das den Betroffenen hinterher noch beschäftigt, oft verwendet. Daher trenne ich es vom typisch psychiatrischen Fluch „Psychose“ und erlaube mir, hier von „Trauma“ zu sprechen. Ein
selbstbezeichneter „Professioneller“ schilderte das Psychiatrie-Problem
so: Die Leute würden die „Hilfe“ des Psychiatriesystems
nicht annehmen, da dieses „alles andere als einladend“ sei.
Der Grund: die Trennung ambulanter und stationärer Psychiatrie, da
besonders die Letztere die Betroffenen traumatisiere. Die Gründe
für die „alles andere als einladend[e]“ Ausstrahlung sind
aber wohl andere: Trotz Tarnung strahlt die Psychiatrie eine einschüchternde
Atmosphäre aus, die wohl von ihrer Machtpolitik herrührt. Eine
freundlichere Ausgestaltung des Systems würde diesen Machtapparat
nur noch mehr verdecken und so die Psychiatrie noch gefährlicher
machen. Denn deren eigentliches Ziel bliebe: Macht- und Einkommensmaximierung.
Auch das Zusammenwerfen ambulanter und stationärer Psychiatrie würde
weder die Ziele des Systems ändern noch die traumatisierende Wirkung
psychiatrischer Einrichtungen mindern. Und dennoch plädierte der
Kerl mit Nachdruck für ein sanfteres Auftreten der Psychiatrie, indem
die „Experten“ nicht gleich über „Medikamente“
reden und lernen sollen, einem Menschen freund-lich zu begegnen, wobei
der Betroffene es sich angeblich aussuchen könnte, ob er die „Hilfe“
des System annehmen möchte. „Man muss das psychiatrische System
verändern.“ Tja, da fragt man sich, in welche Richtung. Und
warum sollte es überhaupt noch fortbestehen, wo es doch keine „psychische
Krankheit“ gibt. „Seelisch krank“? Was ist da „krank“?
Und wie? Der abstrakte Begriff der „Seele“ kommt ursprünglich
aus der Religion und hat in der Medizin nichts verloren. Es ist nicht
nachgewiesen, dass es eine „Seele“ überhaupt gibt. Und
sollte es doch eine geben – kann sie krank werden? Bestünde
sie aus Zellen, die durch einen Erreger geschädigt werden können,
wäre sie ja ein Körper. Daraus folgt: Nur Organismen können
krank werden. Ein
Vereinsmitglied zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V. befürwortete
die Möglichkeit, bei Bedarf stigmatisierungsfrei „normale“
Psychotherapie zu erhalten. Der Ansatz, einem Interessenten stigmatisierungsfrei
jemanden zum Reden bereitzustellen, ist an sich nicht allzu schlecht.
Aber: Wozu muss dieser „Redner“ eine Psycho-Ausbildung haben?!
Körperliche Defizite des Betroffenen als mögliche Ursachen für
angebliche „seelische Störungen“ wurden ebenfalls genannt.
Die schlechte Laune aufgrund eines körperlichen Leidens ist wohlbekannt.
Auch ist dieses Leiden nicht immer gut zu erkennen und zu orten, es geht
einem einfach nur „dreckig“, wie z.B. oft bei Stoffwechsel-
oder/und Verdauungsstörungen. Und da wird man mit etwas Pech zum
Psychiatrieopfer wegen angeblich „seelischer“ Krankheit. Denn
mit Vitaminen und frischer Luft lässt sich nicht so viel Geld verdienen
und betrügen wie mit Psychodrogen. Eine Dame vom Verein zum Schutz
vor psychiatrischer Gewalt e. V. betonte – neben einer Kritik an
den gängigen Maßnahmen der Zwangspsychiatrie – auch, dass
selbst in ambulanter Psychiatrie ein Machtverhältnis zwischen „Arzt“
und „Patient“ entstehe – zum Nachteil des Letzteren. (...) Zu
guter Letzt schloss der moderierende vermeintliche Psychiatrieerfahrene
mit folgendem Satz die Sitzung: „Jeder muss bei sich selber anfangen!“
Mit Hilfe dieses Satzes schieben Psychiater und Psychologen Opfern einer
gesellschaftlichen Misslage die Schuld für diese in die Schuhe –
und nicht etwa den Tätern. Nach folgendem Muster: Y wird gemobbt.
„Überdenke deine Einstellung zu der Gesellschaft,“ heißt
es dann immer bei den Psychos, „lieber Y, fange bei dir selbst an...“
– zu Deutsch: „Du bist selber schuld!“ (...) Allgemein
fiel die Psychiatriekritik zu lasch aus. Aber der Eindruck versuchter
Rechtfertigung seitens vieler – darunter der Moderatoren – zwang
sich einem auf. Dabei sollte deren „Dreieinigkeit“, der sog.
„Trialog“ – oder vielmehr „Trialüg“ –
eine nicht vorhandene Gleichberechtigung vortäuschen. Was ist das
für eine „Gleichberechtigung“, im Rahmen welcher die „professionell
Tätige“ die Betroffenen, und auch die Angehörige, wenn
diese ihr unbequem wird, unschuldig einsperren kann! Somit stehen die
Veranstalter mit ihrer wahren Einstellung zum Thema Psy-chiatrie im Widerspruch
zum Motto der Veranstaltungsreihe „Psychoseseminar“ (siehe Überschrift). Fazit:
Der Begriff der „seelischen Krankheit“ ist ein Widerspruch in
sich, die Psychiatrie eine Falle. Unter dem Vorwand einer „Hilfe“
bzw. „Therapie“ bestraft sie bereits Traumatisierte für
ihr Erlebtes mit einem erneuten Trauma. Die Psychiatrie scheint zu dem
Entschluss gekommen zu sein, dass ihr eh schon dichtes Netz aus Lügen
und Euphemismen, hinter dem sie ihr wahres Gesicht versteckt, immer noch
zu lückenhaft wäre. Denn es sickere offenbar noch genug Wahrheit
durch, um einige potentielle Opfer abzuschrecken. Daher wolle sie im Rahmen
einer angeblichen „Selbstkritik“ ihre einkommens- und machtpolitischen
Ziele noch raffinierter kaschieren. Dies entnehme ich den Äußerungen
vieler Besucher – vor allem denen der „Professionellen“. Simone
Wallraff |